Morgens bei Dover

 

 

 

 

Gellendes Gelächter läßt mich herumfahren, gerade noch rechtzeitig, um die große Möve im Dunst verschwinden zu sehen. Erst dachte ich, man amüsiert sich über mich und mein Gespann: Ein Rad mit einem einrädrigen Anhänger mit bunten Wimpeln dran im Frühnebel vor den Klippen von Dover.

Der merkwürdige Anblick täuscht: In nur 41/2 Tagen bin ich von Porta Westfalica über Antwerpen, Oostende und Calais die 761 km hierhergeradelt, bei zum Teil ekligem Gegenwind. Aber ich mache so etwas ja nicht zum erstenmal, ich habe schon ganz Europa von Gibraltar bis Istanbul mit Rad und Bobtrailer durchquert.

Antwerpen

Neu ist, daß ich ein maßgeschneidertes Reiserad mit allen Schikanen aus der Schmiede des Herrn Da Silva besitze, in welches alle seine Erfahrungen als Rahmenbauer, die meines Freundes Franz als Zweiradmechaniker und meine als autoloser Radreisender eingebracht sind.

War ein weiter Weg, aber nun bin ich in Großbritannien um Land und Leute kennenzulernen und mein Schmuckstück zu testen. Im Uhrzeigersinn solles über Wales nach Irland gehen und dann über Schottland zurück.

Nach einem ordentlichen English Breakfast geht es los Richtung Westen, den Großraum London weiträumig umgehen, als erstes Kulturziel ist Stonehenge angepeilt.

Frühstück!

In den Grafschaften Sussex und Kent lerne ich die Tücken englischer Straßen schnell kennen:

Enge Kurven, bissige Steigungen und schlechte Sicht durch Hecken auf beiden Seiten. Dazu lassen die englischen Karten keine zuverlässigen Rückschlüsse auf Zustand und Verkehrsaufkommen zu. Und, ehrlich gesagt, die fahren hier wie die Bekloppten.Aber die sprichwörtliche sportliche Fairness läßt auch die großen Trucks unverdrossen an steilen Anstiegen im ersten Gang hinter mir zuckeln und mancher brüllt noch ein freundliches “ Dig in, man! „aus dem Fenster.

Wat nich paßt, wird passend jemacht

Mein Zeitplan läßt sich nicht aufrechterhalten, da die hügelige Gegend ein zügiges Fortkommen   erschwert, auch ist mein Da Silva mit Rohloff, Scheibenbremsen und Stahlrahmen schon schwerer als die Aluräder. Aber schon bald zeigen sich mit Abfahrten von 60km/h (nicht zur Nachahmung empfohlen) die hervorragenden Fahreigenschaften. Und mit einem 43kg schweren Gespann ist ein Schnitt von 140km am Tag auch ok.

Stonehenge

Als ich Stonehenge erreiche, denke ich erst “ Mensch ist das mickrig „, bei der anschließenden Besichtigung ist es dann aber doch recht beeindruckend, allein, das Mystische des Ortes ist durch die Autobahn daneben dahin. Da war die Stille der 1000jährigen Kathedrale von Winchester morgens sehr viel angenehmer.

 

Winchester Cathedral

Am Abend erreiche ich den Campingplatz von Bath, einer wunderschönen kleinen Stadt, die schon von den Römern als Badeort genutzt wurde. Der knurrige Wirt erklärt mir um 19:35 ziemlich süffisant, Essen gebe es bis 20Uhr, Bier bis 23Uhr, aber ich solle mal erstmal auspacken. Meine gelassene Antwort, dann müsse ich wohl schnell sein, sorgt für Grinsen an der Theke. Als ich um 19:53 umgezogen mein erstes Bitter ordere, erklärt er knochentrocken: „Ich geb dir dann mal die Karte “ . Diese Demonstration hat Erfolg gehabt, es wird ein langer, feuchter Abend im Kreise lachender Biertrinker.

Die folgenden Tage arbeite ich mich dann über Bristol durch Südwales nach Swansea vor, eine häßliche Hafenstadt, in der ich einen Tag auf die Fähre nach Irland warte.

Burg von Swansea, die sah schon vor 1942 so aus

Aufgrund meiner Deutschen Flagge werde ich von einem alten Mann angesprochen, der mir erklärt, warum Swansea keine sehenswerte Altstadt hat: Der Größte Feldherr aller Zeiten hatte wohl ein Problem mit der Schwerindustrie hier. Er wolle mir das nur mal erzählen, sagt der Alte…

Am Morgen des 26.April lande ich dann endlich in Cork, von wo ich sofort in Richtung der DingleBay nach Westen aufbreche. Die Landschaft ist ganz anders hier, felsig, schmale Straßen und überall blüht der Ginster, es erinnert mich stark an Norwegen.

Irgendwo in Irland

Unterwegs laufe ich auf einen Radler aus Neuseeland auf, der mit dem Rennrad unterwegs ist.

Nach etwa 40km trennen wir uns, weil er nicht mehr mithalten kann. Brave Beine, feines Rad.

Eine interessante Erfahrung noch: Bisher hatte ich immer etwa ab dem 10. Tag einer Tour morgens beim Losfahren starke Muskelschmerzen in den Beinen. Dies Phänomen bleibt mir diesmal erspart, muß wohl am angepaßten Rahmen liegen.

Dingle, Irland

Nach einer opulenten Nacht im B&B in Killorglin am Flüßchen Laune erreiche ich mit bester solcher um die Mittagszeit das Hafenstädchen Dingle im Westen Irlands. Die Sonne scheint aus allen Knopflöchern und ich freue mich, weil mit der vor mir liegenden Überqerung des Connorpasses die Richtung Nordost nach Belfast ist, also habe ich dann wohl endlich mal Rückenwind, statt von vorn, was mir die ganze Reise bisher hinderlich war.

Connors Pass

Als ich am nächsten Morgen aus dem Zelt schaue, hat die Großwetterlage sich geändert:

Ostwind.

Auf sandigem Marschland geht es flott voran bis Tralee,   dann durch Sumpflandschaft mit endlosen Herden von Schafen und Milchvieh nach Limerick. Dort erfahre ich neben einigen interessanten historischen Tatsachen vor allem, daß sämtliche Campings den Shannonfluß hinauf am 1.Mai öffnen. Das nützt mir am 28.April wenig!

Allerdings hat die junge Dame in der Tourist information so wundervolle Augen, daß ich diese Nachricht leicht verkraften kann.

King John ´s Castle, Limerick

So hänge ich mich unverdrossen wieder in den Wind, bis ich in Killaloe ein B&B finde.

Nach einem lehreichen Abend über die hier besonders blutrünstigen historischen Gegebenheiten , ganz in der Nähe wurde in einem gräßlichen Gemetzel die Vorherrschaft der Wikinger gebrochen, erkunde ich am nächsten Tag 70km weiter den Garten von Birr, wo das einstmals größte Spiegelteleskop der Welt zu bestaunen ist.

Parson ´s Spiegelteleskop

Einige bahnbrechende Erfindungen zur Beobachtung   des Weltalls wurden hier von der Familie Parsons im Laufe der letzten 7 Generationen gemacht.

 

Wie schön!

Am Abend zelte ich an einem wundervollen Moorsee in hüfthohem Gras und trinke einen Schnaps, der mir schon in Tullamore zugestanden hätte, aber die Whiskeybrennerei hatte schon zu: 2036km habe ich jetzt auf dem Tacho. Defekte: keine, außer dem Plattfuß in Holland, aber mit der genial konstruierten Rohloff Hinterradschaltung macht Reifen wechseln fast Spaß, so einfach ist es.

zum Glück hatten die schon geschlossen

Am nächsten Morgen regnet es leicht und ich radele munter weiter nach Nordosten, dem Wind entgegen. Nachdem ich in Oldcastle noch gestaunt habe, wie die Menschen der Steinzeit wohl diese riesigen Steinblöcke auf einem Hügel zu einem Grab zusammentragen konnten, den ich mit dem Rad kaum hochkomme, erreiche ich nach einigen Stunden die Grenze zu Nordirland. Hier mache ich den alten Fehler: die Unterkunftsmöglichkeiten sagen mir nicht ganz zu, ich beschließe, weiterzusuchen und gerate im Niemandsland in eine Regenfront.

Regen zieht auf
über Birr

Diese führt mich allerdings endgültig zu der Erkenntnis, warum in England die Iren   gerne als Dummköpfe verlacht werden: Die Menschen hier sind so von grundauf herzlich und aufgeschlossen, jeder spricht einen an und will helfen, das wird oft mit Dummheit verwechselt. Das B&B, vor dem ich in Markethill stehe ist jedenfalls seit zwei Jahren geschlossen. Während mir das Wasser aus den Latschen läuft, überredet der mitleidige Wirt seine Frau, man öffnet ein Zimmer für mich und anschließend gehen wir einen trinken.

Es wird ein interessanter Abend mit dem Nordirischen Republikaner.

Nach einem kräftigen Porridge am nächsten Morgen und herzlichem Abschied fahre ich die letzten 60km nach Belfast, wo ich rechtzeitig zum Zieleinlauf des Stadtmarathons ankomme.

Am frühen Abend rase ich mit einer Katamaranspeedfähre Schottland entgegen. Die Gewitterfront entlädt sich auf See und ich radele noch in strahlender Abendsonne in den kleinen Ort Glenluce, wo ich einen stillen Campingplatz und einen unterhaltsamen Pub finde.

Am folgenden Tag möchte ich gerne ein großes Stück fahren, weil so allmählich die Zeit knapp wird.

In 50km schnellen Regenböen von vorne durch hügelige Hochmoore   wird das nichts.

fehlt nur noch Baskerville ´s Töle

In Clarencefield falle ich völlig erschöpft vom Rad und komme in einem Hotel unter, eine Investition die sich auszahlt, denn nach einer halben Stunde tobt ein

Unwetter , während ich bereits geduscht auf mein Bier warte.

nach dem großen Regen

Ich will nun quer über die Insel entlang des Hadrianswalles nach Newcastle reisen um von dort die Fähre nach Amsterdam zu nehmen. Dann hätte ich Donnerstag bis Sonntag um locker heimzurollen.

Römisches Kastell. Dahinter hausen die Wilden

Aber wieder einmal kommt es anders:

Nach einer zügigen Fahrt durch das hügelige Land mit harten Anstiegen und endlich mal Sonne frage ich in Newcastle nach dem Hafen. Der sei “ Miles away “ erklärt man mir mitleidig, das würde ich nie schaffen heute. Ich schaffe die 13 Meilen in einer ziemlich guten Zeit, schweißüberströmt höre ich dann, daß man mich nicht mitnimmt. Eine Stunde vor Abfahrt ist ihnen zu kurz, man könne das nicht mehr buchen. Dafür habe ich sogar ein Stück auf der Stadtautobahn in Kauf genommen! Solltet Ihr, liebe Leser, auch nicht nachmachen.

So lande ich dann mit einem Tag verspätung am Freitag um acht Uhr morgens in Ijmuiden,

Holland. In strahlender Sonne rolle ich durch Amsterdam , freue mich an den Klasse Radwegen und will nur noch heim. Endlich Sonne, es ist warm und bei einer Rast am späten Nachmittag beschließe ich, durchzufahren. Ich verfüge ja über eine ausgezeichnete Beleuchtung und ich stelle mir das Hallo gewaltig vor, wenn ich morgens bei Franz in den Laden komme und das Filmzitat bringe : “ Ist mein Kaffee fertig? „.

Aber noch eine Hürde stellt sich mir in den Weg: spät abends läßt sich dieser leise Schlag von achtern nicht mehr ignorieren, bei meiner Untersuchung finde ich eine deutliche Acht im Hinterrad. Was nun? Hier in Holland hilft mir sowieso keiner, zum Glück habe ich Scheibenbremsen also kann ich vorsichtig weiter. Die ganze Nacht radele ich, mit Sorge beobachte ich den zunehmenden Schlag im Hinterrad.

Morgens um sieben in Osnabrück gebe ich auf: bevor das Rad ganz kaputt geht steige ich in den Zug. Schade, wär ein Auftritt nach meinem Geschmack gewesen.

soviel zu DT Swiss

Aber knapp 340 km habe ich am Stück geschafft. Ok, war noch nicht Trondheim Oslo, aber das habe ich ja schon gemacht.

Die Felge, so stellt sich heraus, ist innen zu drei Viertel längs gerissen. Spricht für den Hersteller, daß ich damit überhaupt soweit gekommen bin.

Meine Freunde sagten: „Prost!“

 

 

Jahreskilometer:     15.906km