1001 Meile auf dem Rad
Ja, ich war dabei.
Und nein, ich bin nicht die volle Distanz gefahren.
In einer Zeit, in der jeder Kretin seine Ausscheidungen ins net stellen kann und jeder alles und jeden tracken kann, brauch ich das nicht zu erzählen.
Ihr könnt nun sagen: Aufschneider.
Dann braucht Ihr nicht weiterzulesen.
Falls ihr aber neugierig geworden seid, lade ich euch herzlich ein, meine Geschichte zu erfahren:
Nerviano – 0 Meilen
21:30 starte ich als 357. von 472 gemeldeten in der letzten Gruppe. Nervös rasen wir bei immer noch 28° direkt nach Westen auf das riesige Gewitter zu, welches sich während der Startvorbereitungen aufbaute, und hoffen, daß die Kehre Richtung Adria kommt, bevor wir es erreichen.
Ich versuche bei Vonni und Andreas zu bleiben, die sind mir schon zu schnell, gleichzeitig versuche ich mich in Wegbeschreibung(ein handlicher, farblich abgesetzter Abreißblock, geniale Idee!), GPS Pfad und Markierungen einzufuchsen.
An den leichten Mädchen vorbei geht es südlich um Milano herum, die edleren stehen kerzengerade da, beleuchten Dekollete´ und Gesicht mit dem Handy, die ärmeren kauern neben Tonnen voll blakender Reifenstücke, deren Flammen nur wenig Kontur in die ohnehin schwarzen Gesichter zeichnen.
Ich bin gestreßt, ich hasse Nachtfahrten, weiß sehr gut um die Gefahren des feuchtheißen Klimas der Poebene und versuche die Ruhe zu finden, geschickt zu navigieren.
Mithilfe einiger Italiener, die mich zweimal zurückpfeifen, platzt der Knoten:
Fermo Rigamonti hatte in seiner Ansprache explizit darauf hingewiesen, daß die Angaben des „Roadbooks“ und die „Frecce“ maßgeblich sind, wer dem Track folgt fährt weitere Wege.
Fombio – 65 Meilen
An die Kontrolle kann ich mich nicht erinnern….
Ich habs raus. Anstatt Tangenten zu den scheinbar blind durch die Landschaft gezogenen Linien des Tracks zu suchen, halte ich mich an die Wegbeschreibung und achte auf die Pfeile. So kommt man nämlich oft auf Wege, die quer durchs Feld zu den Bewässerunsschleusen führen. Fernab vom Verkehr, ruhig, asphaltiert und: kürzer. Trotzdem hadere ich, komme nicht gut in den Tritt.
Colorno – 115 Meilen
Die Kontrolle in Colorno ist abgebaut, obwohl ich noch 90min Zeit habe, die Leute muß ich suchen. Von Position 267 habe ich mich auf 386 verschlechtert, auch ne gute Idee, die Klebis sind durchnummeriert, so haste Anhalt wie es für dich läuft. Auch wenn´s grad nicht motiviert…
Ich bekomme ein brioche, Wasser und mache mich auf den Weg, es geht mir nun auf Dämmen am Po vorbei, ich liege schlecht in der Zeit und laufe plötzlich auf Fabio, Pedro und noch einen Brasilianer auf.
Sie fragen wie´s läuft, ich jammere etwas über die vergurkte Nacht und werde aufgenommen.In der Gruppe geht´s ganz locker, die Jungs haben das naturgemäß mit der Hitze auch ganz gut im Griff, ich kann gut mitrollen und die Laune steigt, zumal bis zur Geheimkontrolle, wo man uns mit Melone und Focaccia labt, noch etliche überholt werden.
Massa Finalese – 190 Meilen
Ich blödele hier noch rum, Finalese, toll, es ist zuende, gebt mal ein Bier her, alle lachen, ich hab mich immerhin um 9 Plätze in der Gesamtwertung gesteigert und denke mir, daß das gut so weitergehen kann. Nach einer Rast brechen wir wieder auf, und ich hab Mut geschöpft, weil inzwischen doch eine Menge Leute um mich herum unterwegs ist. Nach einer Weile geht dieses Frösteln los, und der Knoten im Magen, ich weiß, ich müßte essen, aber schon mein Wasser würge ich mühselig runter. Ich nestele die Mettwürstchen und die gesalzenen Erdnüsse hervor, mit Wasser, soviel geht, bei dem ganzen Theater kann ich die Brasilianer nicht halten und lasse sie auch ziehen. Der Mann mit dem Hammer ist ganz nahe. Ruhig pedaliere ich weiter, konzentriere mich auf die Navigation und erreiche solo
Lugo – 254 Meilen
Hier befindet sich die Kontrolle weder am Endpunkt des vergangenen, noch am Beginn des Folgetracks. Ziemlich genervt sause ich in der Stadt umher, bis ich mich auf Fermos Worte besinne, und mal im Roadbook nach der Adresse schaue. Das ist dann wieder GANZ woanders, und ich benötige die Hilfe einer ganzen Reihe von Passanten, bis ich endlich dort bin. Ich werde von einer Dame an der Kontrolle empfangen und sofort bricht mein ganzer Unmut verbal über sie herein. Sie schaut mich nur ganz ruhig an, und nach drei ärgerlichen Sätzen brennen plötzlich meine Augen, ich breche ab und sage, nun auf Italienisch:“ Entschuldigung. Guten Abend.“ Daraufhin werde ich abgestempelt und bekomme erklärt, wo es Essen, Trinken, Duschen und Ruhemöglichkeiten gibt. Einer der Brasilianer hat aufgegeben und Vonni, solo, berichtet, Andreas sei auch raus. Ich treff ihn noch, später, und der is richtig raus. Hitzeerschöpfung.
Paar Ratschläge vom Sani, und auf geht´s, wieder mit den Brasis, allerdings sage ich ihnen gleich, sie sollen auf mich keinesfalls Rücksicht nehmen. Weg sind sie…. Während sich im Westen wieder ein gewaltiges Gewitter entlädt, geht es zum ersten Berg, gut 1100m hoch. Den will ich noch grad schlucken, so bis Mitternacht, dann unten in der Kontrolle pennen. Nach einer kurzen Pause in einem Bushäuschen, das Gewitter ist sehr dicht, aber kein Regen, fahre ich auf Vonni und zwei andere Deutsche auf, die sich im ersten Anstieg direkt nach hinten verabschieden. Ich sinniere noch, ob ich mich vielleicht um Vonni kümmern sollte, wo sie ihres Mitfaherers verlusig ist, da tritt die in einem Gang an, daß es mir vom Gucken wehtut und fährt weg.
Eine abgefahrene Alte, im wahrsten Sinne des Wortes…
Solo erklimme ich den Passo Sambuca, oben ein blaues Fünkchen im Dickicht des Waldes, Vonni, und unter mir zwei, die beiden anderen. Ich bin unsagbar glücklich, diese völlige Stille, die Silouetten im Vollmond, oben der Blick auf Comacchio am Meer. Hier wird die Mille et uno endgültig mein Ding.
Auf der anderen Seite des Berges hängt dicker Nebel, dieser und der vor mir herrasende Rettungswagen mit Blaulicht machen die Abfahrt eher spannend. In den letzten Kehren fallen mir dreimal die Augen zu, mit aller Gewalt krieg ich sie wieder auf und dann auch noch die Kurve. Oh,oh…
Unten im Ort suche ich dann „Campo sportivo“, die Kontrolle in
Dicomano – 319 Meilen
Nachdem ich ziemlich sauer frühmorgens diese verfallene Ruine aufgefunden habe, stelle ich fest, daß ich in meiner unendlichen Müdigkeit nicht begriffen habe, daß es noch 14km zur Kontrolle sind. Auf dem Weg dorthin kommt mir ein fertiger Randonneuer entgegen. Auf dem Weg zum Bahnhof…
Die Kontrolle ist geschlossen.
Der Randonneur ist weiß vor Zorn und Müdigkeit:
„Das können die nicht machen! da oben im Berg liegen noch Dutzende und schlafen. Die müssen doch ne Notbesetzung haben!“
„Alter, seufze ich, wenn zu ist, ist geschlossen. Wenn ALDI geschlossen ist, mußte auch zum Kiosk“
Da geh ich dann auch hin, um mittels einer Quittung für meinen Espresso beweisen zu können, daß ich noch im Zeitrahmen dort war, weil ich ja mit der letzten Gruppe 1h später gestartet war, der Kontrollschluß um 05:30 rechnerisch aber für die ersten Starter ist.
Auf dem Bon steht: 06:30
Aus der Zeit.
Nun gut, jetzt ist es ja wieder hell, dann wird halt nicht geschlafen, der nächste 1000er baut sich vor mir auf, ich muß wieder in die Zeit, zweimal darf man drüber sein….
Ein verzweifelter Kampf beginnt, das erste Stück ist richtig ätzend steil und ich bin so entsetzlich müde, aber wenn ich es bis 09:59 schaffen würde, wär alles wieder gut.
Am Weg stehen ständig Leute rum, die glotzen, wieso eigentlich?
Vallombrosa – 340 Meilen
die Uhr zeigt 11:18, als ich mich dort hineinschleppe.
Aus.
Das war´s.
Aber bis zur nächsten Kontrolle geht es erst 1000m runter und dann nur flach, vielleicht könnte ich ja die Zeit packen, dann muß ich halt nur sehen, daß ich weiterhin drinbleibe…
Als ich nach Stunden zu mir komme, ist mir klar, daß das jetzt erst recht nix mehr wird.
Bleiern schleppe ich mich in ein Hotel ein paar Meter weiter, und falle nach einer Dusche in meinen stinkenden Klamotten in komaartigen Schlaf.
Früh wieder raus, neu überlegen, das geht wieder ganz gut:
Das Ding einfach zuende fahren wär die beste Lösung. Aber dann würde ich wegen der Zeit irgendwo im Süden in den Zug steigen müssen, um die Heimfahrt am Montag Abend antreten zu können.
Im Zug in Milano ankommen?
Nee…
Nach 130 km erkläre ich genau diesen Gedankengang dem Kontrolleur in
Staffoli le cerbaie – (701 Meilen)
daß ich nun von Vallombrosa über Florenz hierher geradelt sei, und bitte darum, den Brevet unter dem Schutz der Veranstalter außer Konkurrenz weiterfahren zu dürfen.
Der Mann prüft mit ein paar Ortsfragen den Wahrheitsgehalt meiner Angaben, klebt mir lächelnd den Sticker ins Carnet und fragt, ob ich lieber Risotto oder Pasta wolle.
Es folgen ein dicker Berg, eine unglaublich geile Abfahrt in die Abendsonne hinein
und danach ein 60km langer, moderater Anstieg zur nächsten Kontrolle, auf dem mir „the long and winding road“ von den Beatles im Herzen herumgeht.
Nicht einmal das kann mich mehr erschüttern, ich rolle und rolle und sauge die herrlichen Bilder und Düfte in mich auf, bis ich um Mitternacht den Bergsee von
Gorfigliano – (765 Meilen)
erreiche, wo ich mich- müde und kaputt – aber unendlich leicht in der Seele in meinen Folienbeutel rolle, um 4h zu schlafen. Eine Bewegung an meinem Lager weckt mich noch einmal, als ein grobschlächtigerMann mich sorgfältig mit einer herbeigeholten Wolldecke zudeckt.
Um 05:30 sitze ich schon wieder auf dem Bock, voller Neugier auf das Meer, welches ich nun in ein paar Stunden erreichen soll.
Die Landschaft im Morgengrauen beflügelt mich wie schon die Tage zuvor, ich bestaune
Es gibt noch ein paar ordentliche Brocken zu bewältigen, der Schweiß fließt in Strömen an mir herab, ich saufe wie ein Vieh, und rieche wohl inzwischen auch so, hab ich doch beide „bagdrops“ verpaßt, heißt, ich rolle immer noch in der ersten Garnitur…. ich erreiche gegen Mittag
Deiva Marina – (830 Meilen)
Hier müssen wir im Restaurant fürs Essen bezahlen, was mich nicht stört, ich bin total gut drauf und davon überzeugt, daß mich nur noch ein Sturz vom Erreichen Milanos abhalten wird, was mich in den noch folgenden Abfahrten allerdings nicht vorsichtiger macht.
Es kommt indes zur surrealsten Begegnung der ganzen Tour:
2 alte Frauen, deutsch, sicher näher an 70 als an 60, unterhalten sich über mich, als ich, kurz am Tisch weggedöst, wieder erwache (diese Randonneure haben halt kein Benehmen). Mir wird dann, da ich ja so müde sei, angeboten, da man ja zufällig eine Straße weiter wohne, dort im Garten unter dem Baum sei eine Liege, da dürfte ich mich sehr gerne etwas ausruhen.
Der folgende Gesprächsteil dreht sich dann um die Einsamkeit der Radfahrer und das Alleinsein an sich, das „kann man ja immer besser“.
Ich, äh, mache mal Conto bei der Wirtin und empfehle mich höflich.
In der Folge geht es die Steilküste wieder rauf und runter, atemberaubende Ausblicke lassen mich immer wieder verharren, indes, unten an der Küstenstraße verweile ich nicht, es ist Hochbetrieb und der ganze Lärm und vielen Menschen strengen mich nach der Stille der Berge sehr an. Ich bin richtig froh, als es in das Tal nach
Casella Ligure – (889 Meilen)
geht.
Mein Plan (ein Randonneuer muß immer einen guten Plan haben, damit er Ballast zum wegschmeißen hat) besagt derzeit, daß ich in Casella noch mal 4h penne, und dann „ausgeruht“ die letzten zwei Etappen fahre. Allerdings gibt es auf der Fahrt dort hin einen kurzen, heftigen Schauer, was zur Folge hat, daß sich im Tal Nebel bildet, und weil es noch früh ist, beschließe ich dort oben, die nächsten 53km auch noch zu fahren, um nicht morgens im Tal in die Suppe zu geraten. Schnell die unvermeidlichen Pasta pomodoro und weiter. Durch ein enges Tal voller Fabriken verlasse ich das Mittelgebirge endgültig Richtung Poebene, landschaftlich ist es hier grad nicht so sehr gewinnbringend, aber rollt gut, selbst auf den miesen italienischen Straßen. Auf den letzten 10km sinniere ich noch, während mir der Schweiß schon wieder aus allen Poren bricht, daß es eigentlich kein Wunder ist, daß dieser Mensch ein so großer Radfahrer wurde, wenn er solche Hügel jeden Tag nach der Schule mit dem Rad rauf mußte.
Castellania – (922 Meilen)
erreiche ich um 00:15, den Geburts- und Begräbnisort des legendären Fausto Coppi
Hier habe ich das inspirierendste Erlebnis überhaupt, als ich vielleicht eine Stunde in dieser warmen, stillen Nacht voller Grillen vor mich hindöse. Zur „Geisterstunde…“ Hat er mir vielleicht einen Rat gegeben?
Erfrischt erhebe ich mich wieder, und werfe den Ballast(Plan) über Bord:
Der Regen hat offenbar bis in die Poebene hineingereicht, es ist schwülwarm, wenn das gegen4-5:00 Uhr kondensiert und die Sonne aufgeht, fahr ich blind durch einen Saunaaufguß rein.
Also los!
Die Entscheidung erweist sich als goldrichtig.
Zum einen bin ich völlig euphorisch, habe Beine wie neu, und zum Anderen ist meine Einschätzung korrekt: Um den Fluß herum ist dicke Nebelsuppe, die ich zu dieser Zeit gut passieren kann, weil praktisch kein blendender Gegenverkehr vorhanden ist.
Einmal, an einem Seitenarm des großen Po wird es noch richtig gefährlich, aus einer Linkskurve kommend, falle ich mehr über Gitterroste auf die feuchten Planken einer Pontonbrücke, als ich drauffahre, aber ich stürze nicht.
Mit neu geschärfter Konzentration brause ich gen Nerviano,
über die kleinen Wege, vorbei an den nun verwaisten Arbeitsplätzen der Bordsteinschwalben,
die in mir eine ganz neue, deprimierende Vorstellung von schmutzigem Sex wecken.
Nerviano – 721 Meilen
Um 07:54 ist es vorbei.
Jemand kommt um mir mein Carnet abzunehmen.
Ich bin glücklich, einfach nur glücklich.
Ich habe mal für die Frager gestoppt, 313,13km und 3790hm in den letzen 24h.
Ich spüre die Blasen an den Fußsohlen und weiß, daß ich noch nie in meinem Leben so hart gefahren bin.
Ich kauf mir meinen Pokal selber, denn eine Medaille gibt´s ja nicht.
Sie stellen mir Pasta pomodoro hin, Melone, Kuchen und ich mampfe fröhlich.
„Mr.Holz? Mr.Holz??“
Als ich mich umdrehe, steht da Serena von der Kontrolle. Sie überreicht mir das ausgewertete Carnet, drückt mir die Bons extra in die Hand und dann die Medaille und eine Urkunde.
Das Abgebussel überstehe ich noch tapfer.
Dann fange ich an zu Heulen.
Für mich ist das die „rote Rückennummer„
Beim Brevet meines Lebens