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Extremadura – der Name ist Programm

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Draußen wüten der April und Corona, wieviel mehr Gründe gibt es, das Rad mal stehen zu lassen und den irgendwann mal notdürftig eingepflegten Artikel zu einem richtigen Reisebericht zu machen? Hat auch Spaß gemacht, sich zu erinnern, vor allem daran, wie doof man früher war…

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Die alte Silberstraße

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Ich war pleite, stark und zornig, hatte im letzten Jahr mit dem Rad die Alpen überquert, und 4 Wochen Urlaub im März: eine Herausforderung mußte her…

Weil ja in Spanien immer die Sonne scheint, schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe, besucht die Tante unweit Gibraltars und radelt von da heim. Ma kucken, ob man das in 4 Wochen schafft…

Rückblickend betrachtet eine der dämlichsten Ideen meines Radlerlebens, aber sehr lehrreich, weil ich seither niemals wieder eine Radreise geplant habe, ohne mir Wetter und Land zuvor anzusehen.

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Es ist nämlich so, daß aufgrund der vorherrschenden Windrichtung in Europa das Frühlingswetter erst in Spanien ist, bevor es uns hier mit seinen Kapriolen plagt, und noch dazu hat Spanien den höchsten Höhenquerschnitt in Europa nach der Schweiz. Wenn du nur Kindheitserinnerungen an die Strände Marbellas hast, liegst du da ziemlich falsch…

Die Idee, zur Anreise eine 42stündige Linienbusfahrt zu wählen, war zwar kostengünstig, aber in vieler Hinsicht nicht weniger dämlich.

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Erste Nacht draußen

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Nach einem kurzen, aber herzlichen Wiedersehen schraubte ich mich am 20.3.´01 mit dem Rad bei schlapp 30° über das weiße Dorf CASARES in die Sierra de Bermeja Richtung RONDA. Als ich am 2.Tag in der Nähe des Dorfes ALGODONALES rastete, kreisten nach wenigen Minuten Geier über mir, was mich irgendwie nicht wunderte, ich hatte höllischen Sonnenbrand und war total dehydriert.

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das weiße Dorf CASARES

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Blick von den „betrunkenen Schwestern“ auf Ronda

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Der Plan war, durch die Extremadura parallel zur portugiesischen Grenze nach SANTIAGO DE COMPOSTELA zu radeln und dann Richtung Deutschland. Bis SEVILLA ging das eigentlich auch ganz gut voran, ich erinnere noch die Anekdote mit dem Straßenarbeiter, der mir, auf seine Schaufel gestützt, aufmunternd „Indurain, Indurain!“ zurief, ich ballte die Faust und antwortete:“ Ullrich, Ullrich!“ und er lachte:“ SiSi, Ullrich!“

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die Extremadura

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Nach SEVILLA schraubste dich dann irgendwie auf 600 – 1000 Höhenmeter und die verläßte auch nicht mehr. Ein ständiges Auf und Ab, bei dem man immer den Horizont hinter dem vor einem liegendenden Berg fixiert, und hofft, daß es nu endlich vorbei is, aber:Denkste!

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Naja, und – abgesehen von dem fiesen Wind – (Anhänger hüpft) fing es halt auch an zu schiffen.

Aber so richtig. Aprilwetter eben. Und da hat der Regenbogen, der vor mir aus der Straße kam, auch nix beschönigt.

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und ab dafür!

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Die zwei „Hauptstädte“ der Extremadura, MERIDA und CACERES waren als ehemalige Ruhesitze für römische Soldaten für den Sohn eines Lateinlehrers eine Offenbarung, ich hätte allerdings angesichts der dortigen intakten römischen Brücke niemals gedacht, daß ich in 10 Jahren zu dem Bild der römischen Tigrisbrücke in DIYABAKIR schreiben würde, daß von dort meine 2001 begonnene Weltumradelung weiterführen werde…

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römische Brücke in Merida

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Auch Merida gaben die Römer den Aquädukt…

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Wie dem auch sei, das Wetter war grauenhaft, ich kroch abends aus nassen Plünnen in den Schlafsack, um morgens wieder in die nasen Plünnen reinzusteigen. Der Geruch…

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mal Morgensonne

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Bis hier hatte ich die erste wichtige Lehre erfahren:

Immer im Beutel Brot, Käse, Wurst und Rotwein haben, damit kommst du – wo immer du übernachtest – zurecht.

Ansonsten ist Spanien mit der Vielzahl von Tapasbars ein prima Radfahrerland, kleine salzige Speisen und ein regenerierendes Bierchen bringen einen immer wieder nach vorn. Sofern man Geld zum Einkehren hat…

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gleich kommt der nächste Hagel rein…

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In einer grauenhaften Regennacht im Schutze der Kapelle des Heiligen Christoph bei CANAVERAL fiel die Entscheidung, SANTIAGO zu vergessen, und nördlich der Zentralkordillere nach Osten zu fahren, in der Hoffnung, daß die 2000er der selbigen den Regen wenigstens ein paar Tage aufhalten.

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Zelt hält dicht

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Hat geklappt

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Plünnen trocknen

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Offen gestanden, war die Nummer bis dahin so Scheiße, daß über Handykontakt (hatte ich das erste Mal) der Plan existierte, daß ein Bekannter, LKW Fahrer; mich in Nordspanien rausholen würde.Der Pfosten hat mich versetzt, war aber egal, denn in ZARAGOZA war erstmal der Freilauf im Eimer:

Während ich mit meiner EC Karte lernte, daß damals nur National- aber keine Regionalbanken Kohle ausspuckten, dengelten die Freunde von Ciclos Aragon das Rad in 45min wieder zusammen.Nach nunmehr drei trockenen Tagen mit herrlichen Aussichten und minimaler Restkohle, beschloß ich in LLEIDA, daß ich nicht nach FIGUERAS ins Dali Museum sondern über ANDORRA fahren würde. Vor allem aber nicht abbrechen. Kam bei der Dame zuhaus nicht so gut an…

In ANDORRA auf dem Port ´d´Envalira hab ich auch was gelernt:

 Die ganze mühsame Auffahrt hatte ich verächtlich über diese Motorradfahrer gegrinst, die sich mit ihren „Goldwings“ in den Serpentinen gegenseitig photographierten. Als ich auf der Paßhöhe mit meinem Anhänger auf die dortige Pinte zusteuerte, erhoben sie sich, und applaudierten.

Alle.

British sportsmen…

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der bis auf weiteres höchste Paß…

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Die Paßhöhe ist im Tiefschnee eher unspektakulär, die folgende Abfahrt nach AX LE THERMES indes einfach nur geil, ich bretterte glücklich bergab  in die Kurstadt, wobei ich dummerweise die Abzweigung Richtung QUILLAN übersah. Wie gut, daß es da noch die Querverbindung über den 1480m Col de Chiuola gibt. Der war zwar nicht eingeplant, aber die folgende Nacht völlig allein in einer Hochebene belohnte mich dafür.

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kleiner Ausflug in die Berge

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Das Wetter hielt die folgenden Tage, CARCASSONNE, der Canal du midi, CAP D´AGDE und in AVIGNON rastete ich unter der Brücke, wie es sich gehört.

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CARCASSONNE – ein eher lebloses Museum

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Nachts, in einem verwilderten Olivenhain, erwachte ich von wilden Schlägen gegen mein Zelt, stürzte Taschenlampe in der Linken, Kampfmesser( solchen Quatsch hab ich damals echt noch mitgeschleppt!) in der Rechten mit einem Satz nach draußen:

Eine dicke Kröte suchte hüpfend einen Ausweg zwischen Innen- und Außenzelt…

Unendlich erleichtert entließ ich das arme Vieh in die Freiheit und nahm erstmal einen tiefen Zug aus der Weinflasche.

Den Rhône aufwärts lesen sich die Ortsschilder wie eine exquisite Weinkarte, was mir allerdings beim zustand meiner Kasse nur wenig nützte. Zum Glück entdeckte ich in MONTELIMAR einen ALDI, der mir erlaubte nochmal preisgünstig die Vorräte zu ergänzen, bis Deutschland würde ich wohl kommen. Etwas doof: der Regen hatte mich wieder eingeholt, und seit der Fahrradreparatur war an ein Hotel nicht mehr zu denken.

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kochen im Regen

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Saône aufwärts seit Lyon plantschte ich durch die Vogesen ins Departement Moselle, hier lasen sich die Ortsschilder wie das Tagebuch meines Großvaters aus dem ersten Weltkrieg und ich erreichte mit brennenden Knien schaudernd NENNIG an der Mosel.

Zwischendurch hatte ich noch im Garten der Abbaye de Citeaux gezeltet. Hätte ich das Mönchlein gefragt, ob ich reinkommen darf, hätte ich wohl sogar Essen bekommen, war aber zu feige, und so pennte ich halt eine weitere Nacht schick im Gepladder.

Wie auch in NENNIG, nachdem ich meine letzten 15Franc in drei Bit umgesetzt hatte, verschwand ich im Moseltal im Gebüsch. Hier entstand ein Spiel, das ich liebe: im Grenzgebiet einen kleinen Laden ansteuern mit den Worten:“ Hier ist mein Rest eurer Währung, gib mir bitte Essen und Trinken, bis das alle ist“ Das macht viel Spaß, und besonders im Ostblock auch leuchtende Augen bei den kleinen Händlern: ein arrogantes Verschenken der letzten Münzen kommt gerade bei den armen Menschen genauso arrogant an, aber wenn man ein Geschäft macht, zeigt man seinen Respekt.

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„Camping“ Nennig

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Die Mosel zog sich, ich hatte geplant, die schlappen 200km in einem Rutsch runterzufahren, das wurde aber nichts, in TRABEN TRARBACH mußte ich noch mal rasten, aber da konnte ich endlich mal ohne Zelt in einem Unterstand in frühlingshafter Wärme ruhen, sogar ohne Schlafsack…

In TRIER gab´s Kohle, der April hatte begonnen, Lohn war da, und der Automat spuckte was aus, was habe ich den Kaffee und die Teilchen genossen, nach einer Woche Nudeln mit Käse!

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frischer Kaffee im Regen

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Über KOBLENZ erreichte ich NASSAU an der Lahn, und nachdem sich der Campingplatzwirt dort, aufgrund meines Aufzuges zunächst naserümpfend, meine Geschichte angehört hatte, (und sich versichern konnte, daß ich Geld besaß), hatte ich einen großen Bewunderer und Mittrinker gewonnen.

Der Rest ist schnell erzählt, in MARBURG zeltete ich erstmalig untergezogen im Stadtgebiet und am nächsten Tag hatte ich das alles so satt, daß ich stumpf die letzten 214km mein Gespann nach Bückeburg zerrte, nicht ohne zu guter Letzt noch in einen Schneesturm zu geraten, und noch eine total bescheuerte Nummer abzuziehen:

In RINTELN wählte ich, um voranzukommen, die Umgehungsstraße, was die 2 Streifenpolizisten überhaupt nicht lustig fanden. Reflexklamotten gab´s damals nicht und die  Beleuchtung war mir geklaut worden (gelogen, hatte keine mit). Mit Blaulicht wurde ich auf die Landstraße eskortiert und mit „DUDU“ verabschiedet. Mit ein paar Tricks kommt man von der Grafensteiner Höhe ja unauffällig über ein paar hübsche Radwege bis nach Bückeburg, ich schaffte es allerdings, in BAD EILSEN, Ausgang Kurpark, nochmals von der Polizei angehalten zu werden. Zum Glück nicht dieselben wie kurz zuvor. Nochmal „DuDu“, und dann war´s gut.

Was soll ich sagen, die Dame hat´s mir nie verziehen, ein Jahr drauf war sie weg, und ich, stark, pleite und zornig konnte in Ruhe weiter nach ISTANBUL radeln…

Inzwischen bin ich nicht mehr so stark, erfahrener, vernünftiger und nicht mehr pleite.

Statt dessen habe ich ein Projekt:

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Bitte seht euch die Sache mal an!