„Wenn du Mailand – San Remo gewinnen willst, mußt du die Abfahrt vom Poggio auch blind nehmen können“

                                                                                                                    Francesco Moser

Ich bin wohl das, was man einen Verrückten nennt: Auto vor sechs Jahren abgeschafft, Bobtrailer ans Rad gehängt und nur noch mit dem Rad in den Urlaub, unter anderem mal Trondheim -Oslo mit beladenem Bob. Aber Tour de France und andere Rennen faszinieren mich auch, und nachdem ich zu einem flotten Renner gekommen bin, habe ich dann mal als Reise die RTF Mailand-San Remo gebucht, um auf Zabels Spuren unterwegs zu sein.
Eine merkwürdige Truppe macht sich da von Karlsruhe im Bus auf den Weg: „Ötztal, hab ich schon zehnmal, ich aber auch, Lichter ausschießen, du kannst dir ja nicht mal ein richtiges Rad leisten ,harrharr, „ etc. Eine Horde von geifernden Alphamännchen, die ihre Heldentaten aufzählen. Brägel lebt! Ich halte besser meine Klappe…
Im Hotel in Mailand bei der Nudelparty geht das munter so weiter, man merkt aber auch einige ruhigere Vertreter heraus, die mindestens ebensoviel draufhaben, wenn nicht mehr.
Am Morgen sammeln sich teils martialisch gewandete Gestalten vor dem Hotel und mischen Zaubertränke aus großen Pulverdosen an, manche schlucken auch schnell noch ein Tablettchen. Ich sehe für die wohl auch befremdlich aus, trage ich doch einen Trinkrucksack voll klaren Wassers mit einer Deutschlandfahne daran. Schließlich ist zuhause die FußballWM in vollem Gange und auch wenn mein Glaube an die angekündigte „Breitensportveranstaltung „ allmählich ins Wanken gerät, werde ich dies Rennen als solche betrachten.
So rolle ich dann um 06:15 locker los Richtung Stadion „BIG “ in Mailand.
In der Startzone wird mir endgültig klar, daß die Uhren hier anders ticken: Die Hände am Oberlenker schießen Fahrer in kleinste Lücken und rangeln schon darum, möglichst schnell über die Registrierschleife zu kommen. Die Atmosphäre ist gespannt, endlich geht es los!
Während vorne alles losprügelt (teils im wahrsten Sinne des Wortes), halte ich mich artig hinten raus um erst mal heil auf die Strecke zu kommen, und mache die Erfahrung , daß die Begleitfahrzeuge noch rücksichtloser drängeln. Ist eine Urkunde das Risiko eines Krankenhausbesuchs wert? Nein! Nach fünf Kilometern ist vom Feld nichts mehr zu sehen außer herausgerissenen Trinkflaschen (teils mit Halter) , Riegeln, sogar einem Handy und den Verlierern der ersten Schlacht, welche bereits Reparaturen vornehmen müssen.
Also fahre ich alleine, wird schon, Ankommen ist das Ziel.
Nachdem ich bei Km 27 noch beobachten konnte wie Menschen in Rettungswagen behandelt werden mußten, kommt von hinten eine Gruppe Italiener daher, an die ich mich anhänge.
Das geht eine Weile gut voran, bis ich an einer Steigung aus dem Sattel gehe und vorbeifahre.
Sch…, die haben gar keine Startnummern am Rad! Wo ist meine Rennstrecke? Den Blick am Hinterrad des Vordermannes ist mir da wohl was entgangen. Ein lachender Italiener weist mir kurz darauf den Weg und ich erreiche nach ein paar Minuten wieder die Strecke, rechtzeitig genug um den Mann der die Ausschilderung abnimmt nach dem Weg zu fragen! Nach 1 1/2 h! Breitensport?! Daraufhin geht es in Novi Ligure gleich noch mal in die Irre, nachdem mir ein netter Tankwart auf Französisch die Richtung weist, kann ich noch etliche Leidensgenossen einsammeln. Nun bin ich so wütend, daß ich mich mit hoher Geschwindigkeit gegen den Passo Turchino werfe, die 1.Verpflegung in Masone ist geplündert, es gibt nur noch Cola, die angekündigte Station der Gruppe oben am Paß überhole ich in einer Haarnadelkurve bei der ziemlich coolen Abfahrt. Es motiviert zwar, daß ich nun schon etliche Leute überholt habe, aber ohne Wasserspenden freundlicher Begleiter käme ich nicht mehr weit.
Ab km 160 wartet die nächste Prüfung: Auf der Küstenstraße nach San Remo habe ich mehrfach den Impuls, das Bike ins Meer zu werfen, ausgelöst durch den Anblick knapp bekleideter Damen am Strand und den köstlichen Duft gebratenen Fischs, habe ich doch nur den klebrigen Geschmack von Cola und Riegeln im Mund.
Ich habe auch keine Angst mehr, mich zu verfahren, obwohl die Straße eigentlich gut zu finden war: überall liegen leere Gelbeutel, Riegelfolien, Trinkflaschen etc. Liebe Leute, um was geht es hier eigentlich? Ich verstehe Radfahren als Einssein mit der Natur, und unser Sport hat einen Ruf zu verlieren. Auf das Fahrverhalten im Küstenverkehr und das Anbrüllen von Autos komme ich besser gar nicht erst zu sprechen…
Immerhin, gute Beine habe ich und die leicht wellige Straße kommt mir entgegen.
Dann schließt unser Begleitfahrzeug zu mir auf , endlich, ich lasse mich nach links fallen und halte mich im Fenster fest, hoppla, so einfach wie das in der Glotze aussieht ist das nicht!
„alles gut bei Dir? „ „Ja, und bei euch? “ „Brauchst du was? „ „Wasser wär schon gut „ „Hm, ja, wir dachten du bist schon durch… €“
An der verabredeten Stelle versorgen Thomas und Karsten( Aufgegeben) mich und ich bekomme zu hören: “ So wie du unterwegs bist und bei den Gängen die du trittst wundern wir uns, daß du nicht viel weiter vorne mitfährst. € Ja!!!
Ich treffe die zwei noch in Spotorno und am Capo Cervo an den offiziellen Stationen wieder, während ich mich teils halb erstickt in Abgasen von Ampel zu Ampel mühe. Wenigstens ist es den ganzen Tag bedeckt, sodaß mir nicht noch die Sonne voll auf den Kopf knallt.
Eigentlich bin ich ganz guter Dinge, als ich die letzte Verpflegung passiere und feststelle, daß immer mehr Radfahrer auf mich zurückfallen. Jetzt kommen diese berüchtigten letzten Anstiege, den Capo Berta komme ich richtig gut hoch, da steht ein Schild “ San Remo 40 km € und Thomas hat gesagt, er habe jetzt keine Zweifel mehr, daß ich durchkomme.
Auf der “ Cipressa € überhole ich in der glühenden Hitze noch etliche Fahrer, geht ja prima, mir ist fast ein wenig fröstelig zumute, ich glaube das Zeitlimit schaff ich noch. Ein geiles Gefühl, als ich locker an dem deutlich jüngeren Belgier vorbeikurbele, der ohne jede Gegenwehr nur verbittert flucht.
Oben auf der Cipressa steht eine kleine Kirche, davor eine Ampel, an der ich kurz halten muß, bevor es in den Ort geht.
Und genau in diesem Moment ist es aus: der Kopf glüht, ich friere und Schweiß stürzt literweise aus allen Poren . Ich habe keine Ahnung, wie lange ich dort im Rinnstein sitze und von mitfühlenden Italienern erklärt bekomme, es sei doch kein Problem, ich solle nur über den Markt fahren, dann ginge es bergab. Fahren? Ich brauche gerade meine volle Konzentration, den Kirchgängern nicht vor die Füße zu kotzen!
Nach einer weiteren Demonstration großen Sportsgeistes durch einen Holländer, den ich lange zuvor mal überholt hatte ( „Du deutsches Schwein, das hast du davon, du bist raus,du Nazisau €) gewinnt der Kopf: 440 Euro und dann im Besenwagen ankommen? OK, Zeitlimit schaff ich nie mehr, aber Durchfahren muß gehen. Die Abfahrt ist erst noch etwas wackelig, aber der kühle Wind tut ein Übriges und ich erwische sogar noch ein paar derer, die mich oben „überholt € haben. Am letzten Anstieg, “ Poggio € geht’s mir wieder gut, das Ende vor Augen sause ich grinsend im Wiegetritt über die Ziellinie. Das hier nichts mehr los ist stört mich nicht: Vernunft hin oder her, runter mit dem Scheißhelm und auf der Abfahrt den Wind um die Ohren pusten lassen! Unten im Partybereich warten die anderen, und auch meine große Klappe ist wiedererstarkt: “ Wie, Klaus fehlt noch? So`ne Scheiße, ich dachte ich bin wenigstens der letzte, die werden auch immer berühmt! € Insgesamt bin ich 572. von 601 Fahrern.
Daraufhin lobt die Reiseleitung abends einen Preis für den Vorletzten aus, ein Sortiment Oliven und Pesto eines hiesigen Herstellers. Klasse!
Am folgenden Morgen ist die allgemeine Erschöpfung dann wieder den üblichen Rennradmachosprüchen gewichen, man träumt schon von den nächsten Rennen.
Als ich an diesem herrlichen Morgen in San Remo mein CUBE in den Bus lade, um 16h nach Hause zu fahren, weiß ich: so ist das nichts für mich. Auch mit dem Rennrad muß für mich noch der Aspekt des Reisens spürbar sein. Dies erkläre ich im Bus auch der Reiseleitung.
Aber jeder hat seine Philosophie zum Radsport, und Euch Machos gefällt das so, also ist es in Ordnung. Bin klar in einer Liga gefahren, die nicht meine ist, aber geil war es.
Vielleicht erinnert Ihr euch ja, wenn Ihr das nächste Mal einen bepackten Tourenradler seht:
Wir machen das zwar anders, aber hart sind wir auch, und ein freundlicher Gruß untereinander sollte immer drin sein, oder?
Übrigens: Ich hab mein Rennrad „Ete € getauft.